Starke Männer im Kilt

Auf der anderen Seite des Atlantiks erlebt der Reisende Schottland und eine ganze Menge mehr

Steve fährt gerne mit dem Kanu über den See. Manchmal rudert er zur Sleepy Cove, einer kleinen Insel knapp 80 Meter vom Festland. Dann lädt er die darauf wohnenden Urlauber ein zu einem Schwatz am Lagerfeuer, ein paar Bierchen und, wenn der Funke überspringt, auch zu einem Liedchen. Meist sind es Deutsche, die für ein paar Tage im Blockhaus am Waldrand Quartier beziehen. Deutsche wie wir, die Kanada auf individuelle Weise erschnuppern wollen, die sich für ihren ersten Kontakt mit dem riesigen Land ein überschaubares Stück ausgesucht haben − Nova Scotia.

 

Neuschottland − so heißt die Provinz an der Ostküste Kanadas nicht nur. Hier erlebt man Schottland fast wie auf der anderen Seite des Atlantiks. Wenn man die typischen kanadischen Wälder hinter sich gelassen hat, wähnt man sich in den Highlands. Legendär ist das schottische Festival im Juli, wo bei den Highland-Games nicht nur starke Männer im Kilt in Wettbewerben wie Baumstamm-Werfen und Metallkugel-Schleudern gegeneinander antreten, sondern hunderte Dudelsackspieler sich zu Gänsehaut erzeugenden Tonkaskaden vereinen, Wettbewerbe in Tanz und Musik die Menschen ebenso anziehen wie die vielen Clans, die hier ihre Zelte aufbauen.

Auch Steve ist ein Mac, aber Schottland hat er noch nicht gesehen. „Warum, es ist doch so wie hier“, sagt er lachend. Dafür weiß er, was die meisten Deutschen sind: „Crazy“ − verrückt. Denn, so erstaunlich es klingt, viele von denen, die die Ruhe und Abgeschiedenheit von Sleepy Cove, der 40 000 Quadratmeter großen Insel im Shubanacadie Lake suchen, sprechen kaum ein Wort Englisch. „Dann sind die Treffen am Lagerfeuer auch sehr kurz“, meint Steve, bevor er uns in das Haus seiner Familie lotst. Scallops − Jacobsmuscheln − nicht im Schotten-, sondern im Schinkenrock werden aufgetischt, eine Spezialität des Hauses. Dazu gibt es wieder ein Bier, ebenso wie später, zurück am Lagerfeuer. Dann sind auch die Gitarren mit dabei. „Country Roads“ erklingt, Lieder von Bryan Adams machen die Runde. Erstaunlich, wie viel man mitsingen kann. Ben, der größte Sohn von Steve, sieht hoch zum Himmel. „Manchmal spielen wir Satelliten-Suchen. Wer die meisten zuerst entdeckt, hat gewonnen.“ An diesem Abend gewinnt keiner, weil wir keinen schnell am Himmel vorbei ziehenden Lichtpunkt sehen. Vielleicht liegt es am hellen Lagerfeuer. Oder am Bier. Einige Zeit später begleitet uns Steve zurück zur Insel. Wir im Ruderboot, er im Kanu. Er muss am nächsten Tag arbeiten − wir haben Urlaub.  

Was kann man machen in Nova Scotia im Urlaub? Nun, in erster Linie schauen und staunen. 575 Kilometer lang und 80 bis 240 Kilometer breit ist die Provinz, die mehr als 5400 Seen aufzuweisen hat, in denen man im Juli und August sogar baden kann. Baden in Kanada? Ja, kein Problem, denn die Hauptstadt Halifax liegt schließlich südlicher als Paris. Aber wer sich nur im See aalt, verpasst das Beste, auch wenn das ebenso mit Wasser zu tun hat. Da wäre im Norden der Cape Breton Nationalpark mit dem Cabot-Trail, einer der schönsten Panorama-Straßen der Welt. Atemberaubende Einblicke in die Tierwelt und Ausblicke in die Landschaft lassen eine Tour zu einem unvergesslichen Erlebnis werden. Wenn man Glück hat, kann man von Land aus Wale sehen, die majestätisch am Horizont vorbeiziehen. Die größere Chance auf eine Begegnung mit den sanften Riesen hat man aber im Südwesten, in der Fundy-Bucht (Bay of Fundy). Diese an ihrem Beginn 77 Kilometer breite und über 220 Kilometer tiefe Bucht ist berühmt für die höchsten Gezeiten der Erde, für einen Tidenhub − also die maximale Differenz zwischen Höchst- und Tiefststand bei Ebbe und Flut – von sage und schreibe 15 Metern. Diese mächtigen Wasserbewegungen sorgen für einen Nahrungsreichtum, der Wale geradezu magisch anzieht. Briar-Island − eine kleine Insel im äußersten Südwesten, die man mit zwei Fähren erreicht − ist bekannt für ihre Walbeobachtungstouren. Und wenn dann ein Buckelwal mehrfach seine mächtige Schwanzflosse zeigt, dann vergisst man auch den doch recht kühlen Wind und das Schaukeln des Schiffes, das einen nach vier bis fünf Stunden wieder an Land bringt. Übrigens − am Ende der Fundy-Bucht, bei Truro, sorgt die riesige Leitwelle der etwa alle 12,5 Stunden wiederkehrenden Flut für eine bestaunenswerte Attraktion: Der Salmon River, den man, von Halifax kommend, über die Ausfahrt 14 des Highway 102 erreicht, kehrt mit dem eindringenden Meerwasser seine Richtung um und fließt rückwärts.

Wo nun schon so oft von Halifax die Rede war: Die knapp 120 000 Einwohner zählende Provinzhauptstadt ist vor allem bekannt und besuchenswert dank der Zitadelle, einer gigantischen Festung, die durch die Engländer zum Schutz des hinter Sydney zweitgrößten Naturhafens der Welt gebaut und dank ihrer abschreckenden Wirkung auch nie angegriffen wurde. Heute tummeln sich hier Touristen und bestaunen die Studenten, die in Uniformen des einst hier stationierten 78th Highlander-Regiments zeigen, wie früher der Drill auf dem Zitadellenhof ablief. Ebenfalls sehenswert in Halifax ist die „Waterfront Area“, ein − wie es der Name schon sagt − Gebiet am Wasser, ein bestens restauriertes Viertel am historischen Hafen. Hier findet man auch das Atlantik-Museum, das vor allem für Titanic-Fans ein Muss ist. Und in den zum Geschäfts- und kulinarischen Zentrum umgebauten alten Lagerhallen ist auch das Büro von Vladi Private Islands zu finden, einem Unternehmen aus Hamburg, das nicht nur für den Normalsterblichen unbezahlbare Inseln in aller Welt verkauft und vermietet, sondern auch Sleepy Cove. 165 Kanadische Dollar pro Tag (ca. 105 Euro) kostet der Traum, einmal für kurze Zeit eine Insel mit einem Blockhaus für zwei Erwachsene und zwei Kinder sein eigen nennen zu können, mit Ruderboot, Kanu und Surfbrett. Ach ja, und weil wir in Kanada sind, selbstverständlich auch mit tierischen Nachbarn. Nein, keine Bären. Lediglich ein paar possierliche Eichhörnchen. Und selbstverständlich Fische, die selbst gefangen und über dem offenen Feuer gegrillt tausendmal besser als in irgendeinem Fischrestaurant schmecken.

 

Thomas BECKER

August 2004

Alle Rechte vorbehalten, zwischenzeitliche Änderungen möglich

 

Der Text erschien am 12. März 2005 im Reisejournal Thüringer Allgemeine

 

 

REISEINFOS: Halifax erreicht man von Deutschland aus direkt (ca 7,5 Stunden) u. a. mit Condor und Air Transat, über Montreal oder Toronto z. B. mit Lufthansa oder Air Canada. Oder auch mit dem Billigflieger Zoom-Airlines, der London−Halifax zum Zeitpunkt der Reise ab 250 Euro anbot.

 

Infos: www.vladi.de

 

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