Das andere Ende der Welt:

Der Traum von Neuseeland wird wahr

Kia'ora  Aotearoa - 10. Dezember 2006 bis 2. Januar 2007

Neuseeland? Ganz schön. Ganz schön weit weg, ganz schön langer Flug, ganz schön teuer, um hinzukommen. Und sonst? Neuseeland ist anders. Anders als man denkt. Mehr Kühe als Schafe, mehr Menschen als Natur. Zumindest im ersten Moment, wenn man nach einer 24-stündigen Luftreise in Auckland seinen Camper in Empfang nimmt und sich auf den Weg macht. Da gibt es ein bisschen was von allem. Wattenmeer wie an der Nordsee, Kühe wie in den Alpen, Pinien wie in Portugal, schwarzer Sand wie auf Lanzarote, Schafe wie in der Lüneburger Heide, kurvige Straßen wie auf Madeira. Gut, alles nah beieinander - schon schön. Aber noch nicht herausragend, irgendwie nicht das, was man erwartet. Dieses Urteil wird spätestens in dem Moment revidiert, wenn man am schwarzen Strand von Raglan steht und die Sonne in die Tasmanische See taucht. In diesen Minuten, den Momenten des Zwielichts, bläst der kräftige Wind den Alltag davon und schafft Platz für die Erkenntnis, dass Erwartungen hier nur Ballast sein können. Und wenn man sich dann innerlich von dem Vorhaben getrennt hat, hier das Abenteuer seines Lebens zu genießen, steckt man schon mittendrin.

 Reisetipps am Ende

Wenn man sich einmal die Zeit genommen hat, so eine lange Reise zu unternehmen, dann soll man sich auch die Zeit nehmen, das Ziel zu genießen. Deshalb hatten wir uns bei der Reiseplanung entschieden, unsere gut drei Wochen nur auf der Nordinsel zu verbringen. Zwar macht das Fahren mit dem Wohnmobil durch die Hügellandschaften großen Spaß, der Sprit ist preiswert, die Straßen sind gut ausgebaut und erstaunlich leer – aber nur von einem vermeintlichen Höhepunkt zum nächsten Bridal Falls - Brautschleier-Wasserfälle, nahe Raglanzu hetzen, das käme dann doch eher einem Dokumentarfilm nahe als einer realen Reise. Und so nutzen wir im Anschluss an unseren ersten Campingplatzaufenthalt die erstbeste Gelegenheit, folgen einem Schild zum Brautschleier-Wasserfall. Ein Spaziergang durch einen verwunschenen Wald. Farnbäume, umgestürzte Baumriesen, aus denen neue Bäume wachsen. Neben uns ein Bach, na gut, ein Flüsschen. Nicht besonders wild oder auf andere Art beeindruckend, aber sehr idyllisch. Einfach traumhaft. Dann öffnet sich der Wald, gibt den Blick frei auf ein grünes Meer von Bäumen. Wir hören den Wasserfall, und wir sehen ihn. 55 Meter rauscht das kalte Nass in die Tiefe, fächert sich auf und macht seinem Namen alle Ehre. Wir gehen vom Start bis ans Ziel, saugen diese Eindrücke auf, allein mit der Natur. Wunderschön. Weiter geht die Fahrt auf einer Umleitung über eine Schotterstraße – Offroad-Feeling pur. Waldabschnitte mit großen Farnen eröffnen eine wahrlich märchenhafte Landschaft. Jeder Quadratmeter atmet hier Legenden, der Moment macht neugierig auf den nächsten. Schafe und Kühe – erstmals sogar mehr Schafe – wechseln sich als Nutzer der Hügelwiesen ab. Kilometerlang sieht man zwar immer mal wieder eine Farm und fast ständig Zäune, aber keine Menschenseele. Jetzt sind wir wirklich in Neuseeland angekommen.

 

Weiter geht es nach Waitomo, genauer, zu den Waitomo-Höhlen. Noch vor dem Einchecken auf einem der schönsten Campingplätze unserer Reise führt uns gleich eine Tour in die Glühwürmchen-Höhle, eine Tropfsteinhöhle, die zwar schön ist, ihr absolutes Aha-Erlebnis jedoch erst bei einer Bootsfahrt auf einem unterirdischen Fluss frei gibt: Abertausende von Glühwürmchen, eigentlich Fliegenlarven, die mit ihrem Licht Insekten (die auf dem Höhlenfluss hereinkommen) in die von der Decke hängenden klebrigen Fangfäden locken. Es ist ein mit Worten nicht zu beschreibender Anblick, vergleichbar höchstens mit dem Sternenhimmel in einer klaren Winternacht. Aber das ist inAranui-Höhle in Waitomo diesem Areal noch lange nicht alles, merken wir am nächsten Tag. Aranui heißt die zweite Höhle in diesem Gebiet, sie ist gleich in mehrfacher Hinsicht beeindruckend. Zum einen wegen der Höhe und der umwerfenden Tropfstein-Kreationen. Zum anderen, weil man uneingeschränkt fotografieren darf. Nach einer kurzen Mittagspause geht es dann zum Black Water Rafting. Für 90 Dollar, umgerechnet knapp 50 Euro, kann man die Black Labyrinth-Tour buchen. Das klingt nach Abenteuer – und ist es auch. Zuerst bekommt man einen Neoprenanzug, Füßlinge und Gummischuhe verpasst, bis auf letztere alles nasskalt – brrr. Dann kommt ein Helm dazu, und fertig ist die Ausrüstung. Ab ins Auto, am ersten Stopp einen um den Hintern passenden aufgeblasenen Gummischlauch genommen und zum ersten Mal testweise in die kalte Brühe. Jetzt stört der Anzug schon gleich viel weniger. Klatschnass geht es wieder zum Kleinbus und auf zum Startpunkt der Tour. Ein kurzer Fußweg, dann sind wir da, an einem unscheinbaren Spalt in der Erde. Kurze Erläuterungen, die Lampen an, den Reifen reingerollt und hinterher. Es sieht zwar nicht so aus, aber man passt wirklich durch. Gleich um die Ecke die erste Pause – noch mal ein kurzes Briefing, die Augen ans Dunkel gewöhnen, dann sagen wir dem letzten Rest Tageslicht endgültig Tschüss. Anfangs noch ein kleines Rinnsal, entwickelt sich unter unseren Füßen schnell ein heftig sprudelnder Bach. Das erste Mal vertrauen wir uns den Reifen an, unterqueren damit eine Felsdecke, die so tief herunterhängt, dass zwischen Körper und Stein kaum noch Luft passt. Platzangst darf man hier nicht haben. Aber wer die erste Etappe übersteht, ist höhlentauglich. Alle kommen durch, dann wieder ein Fußweg durch den nun schon zum Teil eine heftige Strömung erkennen lassenden Wildbach. An einer Kante heißt es rumdrehen, Reifen um den Hintern, und springen. Diese Art, Wasserfälle zu überwinden, wenden wir in der folgenden Zeit noch mehrfach an. Zwar beißt das kalte Wasser an den Händen, manchmal dringt auch wieder ein Schwall am Hals in den Anzug, aber das Adrenalin lässt einen die Kälte nicht spüren. Wir halten an. Linke Hand auf die Schulter des Vordermanns oder der Vorderfrau und Lampen aus, lautet die Anweisung. Gesagt, getan – und dann bewegt sich der Tross aus zwölf Mutigen und zwei Guides langsam tastend durch die Finsternis. Und es ist tatsächlich finster. Einfach nur schwarz – und durch diese totale Schwärze bewegen wir uns Stück für Stück vorwärts. Die Kette reißt zwar zwischendurch, aber keiner geht verloren. Die Füße finden ihren Weg, ertasten, was die Augen nicht sehen. Die bekommen aber gleich wieder Arbeit. Denn kurz darauf erblicken wir die ersten Glühwürmchen über unseren Köpfen. Es werden mehr, und ein kleiner Himmel entsteht an der Höhlendecke. Die Lampen wieder an, und zwei Ecken, einen Sprung und eine amüsante Demonstration von guten und schlechten Wegen weiter folgt ein weiterer Sprung mit Schlauch und eine Schlangenbildung, diesmal mit den Füßen auf den Schultern des davor Schwimmenden. Und ganz vorn bin ich. Licht aus, heißt es erneut, Frazier nimmt meinen Fuß und zieht mich und damit die Karawane durch die Nacht. Plötzlich fällt ein Schuss, und aus wenigen kleinen Sternen hoch über unseren Köpfen wird die Milchstraße. Glühwürmchen zünden, angeregt durch die Vibrationen des Knalls, ihre Leuchtpunkte und lassen uns staunend ein Naturwunder erleben, für das alleine es sich nach Neuseeland zu reisen lohnt. Aber nicht nur die kleinen Larven der kurzlebigen Fliegenart spenden etwas Licht, sondern später auch die trockene Variante der Höhlendurchquerung, ein weit oben verlaufender orange und blau angestrahlter Brückengang. Ein letztes Mal leuchten wir uns den Weg, bekommen auf die nächste, gemächliche Reifen-Treib-Etappe einen Geleefisch zur kleinen Stärkung, dann wird es noch einmal dunkel, das heißt, bis auf die kleinen Leuchtpunkte am Höhlenhimmelszelt. Wir nähern uns dem Ausgang, der erst als kleiner Lichtkreis, dann hell strahlend flussabwärts auftaucht. Wir verabschieden uns in Gedanken schon mal von einer Welt, in die einzutauchen riesigen Spaß gemacht hat. Langsam wird aus dem hellen Punkt vor unseren Füßen das Tageslicht, die Glühwürmchen verblassen, und hinaus geht es wieder in die uns bekannte Welt, wo die wärmende Sonne uns den Abschied von Gimlis Reich leichter macht. Ja, den „Herrn der Ringe“ hätte ich mir mit dieser Kulisse auch vorstellen können. Einem kurzen Fußweg lassen wir noch einen weiteren Badegang folgen – geruhsam gleiten wir dem Punkt entgegen, an dem wir die erste Bekanntschaft mit dem Reifen und dem Wasser machten. Das Auto bringt uns zu unseren Sachen, einer heißen Dusche, einer noch heißeren Suppe und einem knusprigen Bagel. Eine rundum gelungene Sache, die ihr Geld mehr als wert war. Dieser unvergessliche Tag, unser letzter in Waitomo, klingt mit dem Aranui-Bushwalk aus – noch einmal ein Höhepunkt, denn diese kleine 30-Minuten-Runde bietet doch tatsächlich eine Aussichtsplattform auf den Fluss in einem Berg. Für mich steht fest – wer die Waitomo-Caves nicht gesehen hat, war nicht in Neuseeland.

 

Weg von den Höhlen führt uns die Straße mit der Nummer 3 zu unserer dritten Station, dem Campground in Opunake am Fuße des Mount Taranaki. Das ist ein immer von Schnee bedeckter Vulkan, der, so kann man zuweilen lesen, von vielen Schnell-Rundreise-Touristen nur auf Postkarten in seiner vollen Pracht gesehen wird, da er sich oft in Wolken hüllt. Wir nehmen für die 220 Kilometer die Hauptstraße, denn es ist doch eine recht lange Etappe, und die einzige lohnenswerte Alternative hätte uns etwa 60 Kilometer über Schotterpisten geführt. So geht die Fahrt recht zügig durch die traumhaft schöne Hügellandschaft, die sogar mit Sandsteinen wie in der Sächsischen Schweiz aufzuwarten weiß. Unser Blick geht allerdings mehr nach vorn, weil dort irgendwann der Taranaki auftauchen muss. Tut er auch, oder auch nicht, er ist nämlich Ein Meter Bier im "Surf Inn", Opunkae– wie sollte es anders sein – in Wolken gehüllt. Bei der Rast in Oakura, einem kleinen Ort zwischen New Plymouth und unserem Ziel, suchen wir das Cafe Wunderbar auf, wo es sogar eine Thuriger Bratwurst gab. Auf das fehlende „n“ angesprochen holt die Bedienung den Chef, der sich als Kieler herausstellte, der vor sechs Jahren Deutschland den Rücken gekehrt hatte. Wir essen allerdings keine Bratwurst, sondern köstliche Bagel, und dann ist es nicht mehr weit. Je näher wir dem Ziel kommen, umso mehr zeigt sich der 2518 Meter hohe Taranaki, den wir auf der Meerseite umrunden. Nach einem ganz kurzen Wolkenlupfer bekommen wir sogar den Gipfel zu sehen, und später am Abend, in unserem Ziel angekommen, tatsächlich noch den ganzen Berg – ein beeindruckender Anblick. Der Platz im Surferparadies Opunake, das aber kurz vor der Hauptsaison außer uns nicht viele Touristen aufzuweisen hat, liegt in einer wunderschönen Bucht, relativ windgeschützt für hiesige Verhältnisse, und ist spottbillig, 35 Euro für zwei Personen und drei Nächte. Überhaupt ist die Übernachtung hier weit preiswerter als angenommen, vor allem, wenn man bedenkt, dass es dafür Duschen, Küche, Müllentsorgung, Wasser und Strom gibt. Gut, dafür ist das Wohnmobil ja auch nicht geschenkt. Zum Abendbrot führt uns der Weg in den Ort in das „Surf Inn“, wir trinken leckere Bierchen, von denen es in Neuseeland eine gute Auswahl gibt, und warten etwa eine Stunde auf das Essen. Wir überbrücken die Zeit zum einen mit dem Bier, zum anderen mit einem schwer verständlichen, aber dennoch unterhaltsamen Cricket-Match zwischen Australien und Südafrika auf einem riesigen Bildschirm. Ich glaube, Australien hat gewonnen, aber so recht gingen uns die Regeln des Spiels nicht ein. Ach so, das Warten hat sich gelohnt, Chicken-Salat wie Lammkeulen (für knapp fünf Euro) waren delikat. Wir haben einen Meter Bier gesehen und fotografiert, und wir haben gelernt, dass selbst eine Bar, in der Billard gespielt wird, viele Gäste hat, auch wenn man hier (seit 2004) nicht rauchen darf.

 

Sonneuntergang an der Tasmanischen SeeDen folgenden Regentag nutzen wir dann zur Kontaktaufnahme nach Hause und einem Kurztrip zum Cape Egmont, dem westlichsten Punkt der Nordinsel und somit auch dem westlichsten, den wir in Neuseeland betreten. Ein sehr steiniger Strand und ein netter Leuchtturm sind hier zu finden. Nach der Rückfahrt dauert es nicht mehr lange, und die Sonne lässt sich doch noch sehen. Dem Abendbrot am Rosty Sunday – es gibt nur gebratenes Schwein, aber sehr lecker – im „Surf Inn“ folgt ein wunderschöner Sonnenuntergang, der zwar schon in den Wolken über dem Meer endet, dennoch sehr sehenswert ist.

 

Einen Morgen später sieht es sehr gut aus auf der Anfahrt zum Mount Taranaki – wir sehen sogar die Spitze. Dann allerdings gibt es eigentlich nur noch mehr oder weniger dichte Wolken – keine gute Aussicht. Heike und ich machen uns trotzdem auf eine Wanderung, und zwar auf den Witson Pool Loop. Am Besucherzentrum sind die Wege sehr gut beschrieben, nach Zeit und Schwierigkeitsgrad unterteilt, und geben so die Möglichkeit, auch ohne VorkenntnisDer Mount Taranaki - mal ohne Wolken, dafür mit Heike und mirse eine passende Strecke auszusuchen. Hier ist richtiger Regenwald, Urwald, der so dicht ist, dass man nicht vom Weg abweichen kann. Das macht die Wegeführung einfacher, es ist auch schön, weil man sich kaum verlaufen kann. Höchstens bei den Flussbett-Durchquerungen, wo man Ausschau nach den orangenen Dreiecken halten muss. Aber die sind eigentlich ganz gut zu sehen. Nach der Information geht es los – Pooh ist selbstverständlich auch dabei. Es wird einmal mehr ein Eindringen in eine verwunschene Welt. Bäume, auf denen nicht nur Moose und Farne, sondern auch Bäume anderer Arten wachsen, das ist schon sehenswert. Ein schmaler Pfad führt durch den Regenwald und uns schließlich in ein Flussbett, das wir erst steinehüpfend überqueren, um dann zu den Pools zu gelangen. Leider ist das Wasser trotz des meteorologisch nahen Sommers eindeutig zu kalt zum Baden. Schön anzuschauen ist es dennoch, auch wenn uns gerade hier die Wolkenbrühe zuweilen den Durchblick etwas erschwert. Im Visitor-Center erfahren wir, dass auf der Nordseite klares Wetter sein soll, also nichts wie hin. Und tatsächlich, keine Wolkenbrühe – allerdings auch hier kein Gipfelblick. Nach einer kleinen Rundtour und einem Kaffee haben wir dann aber doch noch Glück, für ein Viertelstündchen zeigte sich der Taranaki von seiner besten Seite – und wir kommen Dank einer holländischen Familie sogar zusammen mit ihm aufs Bild. Abendbrot ließen wir uns noch einmal im „Surf Inn“ schmecken, diesmal gibt es reichlich Fisch. Wieder zurück auf dem Campingplatz nutze ich die Sonne und nehme ein (kurzes) Bad in der Tasmanischen See. Man muss ganz schön weit laufen, das Wasser ist sehr flach. Den krönenden Abschluss des letzten Tages hier auf der Halbinsel bildet eine ins Meer eintauchende dicke rote Sonne.

 

Sonneuntergang über der Bucht von WellingtonAuf in die Hauptstadt. Unser größter Ritt bisher – 330 Kilometer an einem Tag, gut sechs Stunden sind wir unterwegs. Ein angenehmes Fahren, die Landschaft sorgt dafür, dass man nicht zu schnell ermüdet. Erst im größeren Umfeld von Wellington gibt es etwas mehr Verkehr, aber inzwischen sind wir so sicher im Umgang mit den Wohnmobilen, dass wir uns da keine Gedanken mehr machen. Den Taranaki haben wir wegen dicker Wolken nicht noch einmal gesehen, dafür bleibt es auf der Fahrt bis auf eine Husche regenfrei. Wir beziehen Station in Lower Hutt, einem mit knapp über 100 000 Einwohnern recht großen Vorort von Wellington. Ein schöner, recht großer Top-Ten-Platz, bei dem man höchstens aufgrund seiner industriell geprägten Umgebung ein paar Abstriche machen kann. Aber es ist leise, und wenn man einmal auf dem Platz ist, sieht man vom Umfeld wegen der Bäume nicht mehr viel. Zum Abendessen marschieren wir in Richtung Stadt und sehen Wellington schon einmal über die Bucht. Zurück geht es nach einem leckeren Essen in einem irischen Restaurant mit dem Taxi. Ein voller Bauch läuft nicht gern – und so schön ist der Weg auch nicht. Dafür der Sonnenuntergang über den Bergen oberhalb von Wellington, der uns mit seiner farbenfrohen Wolkenumrahmung absolut beeindruckt.

 

Wenn ein Tag nass anfängt und aufhört, aber zwischendrin sehr schön ist, dann kann man gut zufrieden sein. Als wir beim Aufstehen den Himmel betrachten, glaubt keiner ernsthaft, dass es den ganzen Tag lang etwas anderes als Dauerregen geben könnte. Als ich sage, dass es in spätestens einer Stunde nicht mehr regnen wird, tun das alle Neuseelands Hauptstadt Wellingtonals Zweckoptimismus ab. Ist es auch. Aber es stimmt. Schon als wir perfekt getimt bei der Fähre von Days Bay nach Wellington eintreffen (eine Strecke 8,50 Dollar), nieselt es nur noch. Als sie mit etwas Verspätung anlegt, hat es aufgehört und wir haben eine schöne Überfahrt. Übrigens: Sir Ian McKellan – besser bekannt als Gandalf – ist während der Dreharbeiten für den „Herrn der Ringe“ auch oft mit dieser Fähre gefahren. Nun, wir finden seine Spuren nicht, aber eine angenehme Seereise mit einem eindrucksvollen Blick auf die Skyline von Wellington ist es trotzdem. Zwar kommt der Regen noch einmal kurz zurück, danach wird es aber ein schön sonniger Tag, bis auf – aber dazu später. In Wellington führt uns der Weg ins Te Papa Museum, das Nationalmuseum, das wirklich wunderbar ist. Interessant gestaltet – sowohl inhaltlich als auch architektonisch – hätte ich einen ganzen Tag darin verbringen können. Der Eintritt ist frei, nur für Sonderausstellungen oder spezielle Touren muss man etwas bezahlen. Die „Herr der Ringe“-Sonderausstellung haben wir leider um ein halbes Jahr verpasst. Allzu viel Zeit bleibt uns zwar nicht, für einen schönen Überblick reicht es jedoch. Nach einem Mini-Fußweg durch die nahegelegene Stadtecke und einem kurzen Mittag inklusive Eis-Nachtisch geht es dann schon wieder zurück bei strahlendem Dem Ring auf der SpurSonnenschein. Der Fahrt durch ein imposantes Gebirge, in deren Verlauf wir uns von Meereshöhe auf 555 Meter und wieder hinunter schrauben, folgt eine stürmische Fahrt in Richtung Lake Ferry. Der von uns als Ziel erkorene „Gateway Motel Holiday Park“ kurz vor dem Abzweig zum Cape Palliser erweist sich als Mini-Anlage mit einem überaus freundlichen Chef, der sich um alles kümmert. Für zwei Tage zahlen wir hier sage und schreibe nur 16 Euro. Wir machen uns gleich nach der Ankunft auf zu den Putangirua Pinnacles, wo die Pfade der Toten für den Film „Herr der Ringe“ gedreht wurden. Es wird eine deutlich längere Wanderung als erwartet, und nachdem ich, den Spuren des Rings folgend, kurzzeitig (völlig unbegründet) als verschollen gelte, kommen wir zusammen und hungrig wieder zurück. Essen machen wir erstmalig in einem Gemeinschaftsraum. Mittendrin fängt es wieder an heftig zu regnen – die Aufmerksamkeit des Chefs geht so weit, uns sogar einen Regenschirm für den Weg zum Camper zu bringen.

 

Dass das Prädikat „Empfehlenswert“ nicht nur für „Herr der Ringe“ -Fans und den Campingplatz gilt, erleben wir am nächsten Tag. Einer stürmischen und regnerischen Nacht folgt ein mit grauen Wolken verhangener Morgen. Wir sind froh, die Pinnacles-Wanderung schon hinter uns zu haben und machen uns auf zum südlichsten Punkt der Nordinsel und damit auch unserer Reise. Kurz vor dem Leuchtturm am Cape Palliser, so verspricht der Resieführer, gibt es die einzige Kolonie von Neuseeländischen Seelöwen auf der Nordinsel, und auf die sind wir besondersNeuseländische Seelöwen - Begegnungen der unvergesslichen Art am Cape Palliser gespannt. Und tatsächlich – weit mehr als 100 dieser majestätischen Tiere ruhen hier auf den Felsen oder im Gras, gleiten ins sturmzerzauste Meer, als wären da keine Wellen und scharfkantigen Steine. Sie blicken uns neugierig bis herablassend an oder ignorieren uns einfach. Kommen wir zu nah, halten uns einige mit abschreckenden Schnaufern und Brüllern auf Abstand, andere dagegen bleiben cool, lassen mich auf Weitwinkel-Entfernung herankommen. Sie haben wahrscheinlich erkannt, dass wir nicht nur harmlos aussehen, sondern es auch sind. Es ist schwer zu sagen, wie viele dieser manchmal an Maulwürfe oder an Spitzmäuse erinnernden, aber ungleich imposanteren Tiere es sind, die Kolonie zieht sich ein paar Kilometer zwischen Straße und Meer dahin. Ein paar Häuschen zwischendurch unterbrechen die Naturidylle – hier ist man wirklich dem Ende dieser Welt sehr nahe. Ein paar mehr oder weniger windschiefe Gebäude, kaum Schafe, noch weniger Menschen und einen Strand in Ngawihi, einem klitzekleinen Fischerdorf mit der wohl größten Raupenschleppersammlung der Welt. Oder Neuseelands. Oder der Nordinsel. Oder so. Auf jeden Fall ein Bild für die Götter, wie die mindestens 30 Raupenschlepper, klein und groß, alt und neu, an der Straße stehen, jeder an der Anhängekupplung ein Boot hängend, das bei Bedarf zu Wasser gelassen werden kann. Das Cape Palliser selbst – vom Sturm aufgepeitschte Wellen, wunderschöne Paua-Muscheln und die Seelöwen, überaus beeindruckend. Ein weiteres Muss für Neuseeland. Wir sind einmal mehr froh, nur eine Insel zu bereisen – so bleibt Zeit, auch solche Höhepunkte weit abseits der Hauptrouten zu besuchen.

 Der erste frei fliegende Papagei - und auch der einzige

Nach der erwartet stürmischen Nacht und einem Abschied per Handschlag vom Campground-Chef und seinem Hund Rose folgt wieder ein langer Ritt, es geht wieder in Richtung Norden, diesmal aber im Osten, Richtung Napier. Die Fahrt hat ihren Höhepunkt im Zwischenstopp im Wildlife-Park Mount Bruce, in dem Heike endlich ihren Kiwi und die Papageien sieht. Richtig bunt sind letztere zwar nicht, aber dafür sogar freifliegend vorhanden.

 

Napier – Stadt auf unruhigem Boden. 1931 veränderte ein Erdbeben das Antlitz der Region. Die Stadt wurde im Art-Deco-Stil neu errichtet und blühte dank hinzugewonnener Flächen – der Boden hob sich damals um zwei Meter neu auf. Hier sind wir also nun angekommen, nach Kontakt mit der Tasmanischen See und der Cook Strait zwischen der Nord- und Südinsel haben wir den Südpazifik erreicht. Leichter Regen am Morgen lässt schnell nach und macht einem Besuch in der Tölpelkolonie am Cape Kidnappers bei Napierschönen Tag Platz. Wir fahren nach Clifton zum Cape Kidnappers, wo sich die größte Festland-Tölpelkolonie der Welt befindet. Dorthin kommt man nur zu Fuß, per Safari-Tourbus oder auf einem Anhänger hinter einem Traktor. Da uns die acht Kilometer für eine Wegstrecke unter Beachtung der Flut nicht wirklich zusagen und wir von Bussen weit und breit nichts sehen, verlegen wir uns auf den Traktor. Dabei haben wir gleich zweimal Glück. Einmal damit, dass wir überhaupt zur richtigen Zeit da sind. Die Tour startet nämlich je nach Gezeitenlage, in unserem Fall gut eine Stunde nach Eintreffen. Der zweite Glücksumstand ist, dass wir überhaupt einen Platz bekommen, das geht in der Hauptsaison eigentlich nur mit Vorbuchung. Wir stehen auf der Warteliste, aber es bleibt kein Platz. Ich will ehrlich sein – ein bisschen schummelnd sage ich, dass wir morgen schon nach Deutschland zurück fliegen. Das ist nicht ganz falsch, würde Sender Jerewan berichten – wir fliegen zwar nicht nach Deutschland, aber fahren ins Landesinnere. Nun, wir haben keinem was weggenommen, dürfen mit und uns sogar in die Mitte der Wagen setzen – die besten Plätze, wie sich herausstellt, trocken und mit gutem Ausblick in beide Richtungen. Die außen Sitzenden haben es nicht so bequem, aber auch ihren Spaß, wenn der Traktorlenker einen kleinen Abstecher in Richtung Wasser macht und die Wellen hoch spritzen. Es ist ein tolles Abenteuer, schon die Fahrt an sich entlang beeindruckender geologischer Formationen, wie wir sie noch nie gesehen haben. Da gibt es riesige Schichtungen an der Steilküste und bis zu neun Meter große Verschiebungen infolge von Erdbeben zu sehen. Und natürlich, als Höhepunkt der Fahrt nach einen schweißtreibenden Aufstieg, die Tölpelkolonie. Die Jungen sind im Dezember schon recht groß, die Väter eifrig beim Starten und Landen und die Mütter warten ungeduldig auf die Rückkehr der Gatten. Witzige Bruchpiloten, elegante Gleiter, Kunstflieger und Schnellstarter – ein faszinierender Einblick in eine quicklebendige Welt.

 

Durchs Gebirge, durch die Steppen zog, uns’re kühne Division, hin zur Küste – ach nee, das ist nicht die richtige Geschichte, das waren die Partisanen vom Amur. Obwohl, so falsch ist sie gar nicht. Erst kommt nämlich nach der Abfahrt von Napier ein Gebirge, und zwar die Maungaharuru Range. Ein gewaltige Landschaft mit tiefen Einschnitten und vor allem heftigen Anstiegen, aber wie immer sehr schön zu fahren. Einem netten Wasserfall folgt dann eine ganz neue Seite Neuseelands für uns, nämlich die Hochebene des Kaingaroa Forest, wo wir in großflächiger Ermangelung an Bäumen heftigst vom Wind gebeutelt werden – könnte man mit etwas gutem Willen auch als Steppe bezeichnen. Und wie im Lied  folgt dann auch bald eine Küste, denn es dauerte nicht mehr lange bis nach Taupo, das wir allerdings rechts liegen lassen, um uns wieder in Richtung Süden zu wenden. Nach ersten Blickkontakten mit den Vulkanen Tongariro (1967 m), Ngauruhoe (2287 m) und Ruapehu (2797 m – Mittelpunkt von Mordor im Herrn der Ringe) passieren wir die Ostseite des Lake Taupo. Wir machen kurz in Taurangi Station, bevor wir uns erst einmal wieder vom See verabschieden und die letzte Etappe des Tages nach Ohakune in Angriff nehmen. Dabei haben wir immer den Denkmal unterhalb des Vulkanes Mount Ruapehuschneebedeckten Ruapehu inklusive seiner Gipfelkette im Blick und passieren das Denkmal für die 151 Opfer, die sein Kratersee-Ausfluss am 24. Dezember 1953 forderte, als er eine Bahnbrücke wegspülte. Genau diesen Kratersee wollen wir uns anschauen. Auf der Fahrt in Richtung unseres Etappenzieles passieren wir wieder eine beeindruckende Hochebene, Schauplatz der großen Entscheidungsschlacht im verfilmten Ring-Epos. Auch vom Camp-Platz sieht man den höchsten Berg der Nordinsel. Unsere Pläne werden wir aber ändern müssen – besteigen können werden wir den Ruapehu nicht, dafür ist oben noch zu sehr Winter, die Touren zum Kratersee fangen erst irgendwann im neuen Jahr an, sagt die junge Dame an der Rezeption des von Deutschen geleiteten Platzes. Schade, aber nicht zu ändern. Doch für Trübsal blasen ist es hier viel zu schön. Und schließlich ist heute nicht nur Sonntag, sondern auch Heiligabend – aber das juckt hier keinen. Der Supermarkt im Ort hat wie immer von 7 bis 19 Uhr auf, auch viele andere Geschäfte waren um 17 Uhr noch geöffnet und haben Kunden. Dafür ist morgen wohl so ziemlich alles dicht, da nämlich ist Christmas Day. Das geht so weit, dass es selbst keine geführten Wanderungen gibt, so dass wir unsere kurzfristig umgeplante Tour auf übermorgen verschieben müssen. Dann soll das Wetter aber auch besser sein, nicht schlecht, denn mit dem Tongariro-Crossing steht eine mächtige Bewährungsprobe bevor. Von Reiseführern als beeindruckendste Eintageswanderung der Welt bezeichnet, führt der Weg zwischen erloschenen und aktiven Vulkanen hindurch von Mangatepopo auf den 1886 Meter hohen Red Crater und dann hinunter an die Ketetahi Road. 17 Kilometer über unwegsames, vulkanisches Gestein, etwa acht Stunden haben wir dafür Zeit, dann nimmt uns der Shuttle wieder auf. Das ist hier sehr praktisch, wir werden nämlich am Top-Ten-Platz abgeholt, da die Zentrale des Shuttleanbieters Matai auf der anderen Straßenseite liegt. Heute ist übrigens der erste Sommertag, zumindest bei der Abfahrt in Napier und unterwegs, um 8 Uhr knallt die Sonne schon heftig. Hier sind wir etwas höher, also ist es nicht ganz so warm wie in Hawkes Bay, aber trotzdem angenehm. Morgen soll noch einmal eine kurze Störung kommen, ab Dienstag verspricht man richtiges Sommerwetter. Mal sehen, bisher war noch keine Vorhersage wirklich stimmig. Von Wellington haben wir uns übrigens rechtzeitig aufgemacht, dort gab es am Freitag in der Bucht 9,6 Meter hohe Wellen und große Verzögerungen bei den Fähren zur Südinsel. Muss „toll“ gewesen sein, passend zum Ferienbeginn. Den merkt man jetzt übrigens auf den Plätzen, nachdem der in Napier schon recht voll wurde, haben wir nicht nur hier in den Bergen vorgebucht, sondern auch in Roturoa. Dort war unser Wunsch-Platz am Blue Lake schon voll, auf dem anderen – laut Prospekt ohne Schwefelgeruch – werden wir aber noch unterkommen.

 

Ohakune - die Stadt der MöhreWas ein ruhiger Tag werden soll, wird ein recht abwechslungsreicher. Zum ersten hat sogar das Restaurant zu, in dem wir extra gestern wegen des Frühstücks gefragt hatten, also lassen wir es uns doch im Wohnmobil schmecken. Das ist ein echter Vorteil eines solchen Gefährtes, irgendwas zu Essen ist immer noch im Kühlschrank. Zum anderen wird uns an der Rezeption des Platzes von der leicht schwäbisch sprechenden Chefin gesagt, dass auch der Lift auf den Mount Ruapehu am Christmas Day geschlossen hat. Von ihr bekommen wir die Erlaubnis, uns umzustellen – der Ventilator des Sanitärgebäudes hat geräuschtechnisch ein wenig genervt. Die Toiletten/Duschen sind übrigens, abgesehen vom Ventilator, der absolute Höhepunkt bisher. Die Waschbecken in edelster Holzausführung, in den Duschen gibt es sogar Wärmelampen, damit man beim Abtrocknen und Anziehen nicht friert. Nach der morgendlichen Stärkung fahren wir auf der direkt aus dem Ort herausführenden Straße unmittelbar auf den Ruapehu zu zum Turoa Skifield auf 1600 Meter Höhe, in der Hoffnung, entweder über die Wolken zu kommen oder zumindest Schnee zu sehen. Beides klappt nicht, es ist zu warm und wir stecken mitten in den Wolken drin. Zeitweilig kann man sogar 20 Meter weit sehen, so kann ich zum einen erkennen, dass es auch dort, wo keine Leitplanken sind, tierisch bergab geht, zum anderen, dass die Skiliftanlage diesen Sommer komplett erneuert wird. Also fahren wir wieder ein Stück tiefer in Richtung eines Wanderparkplatzes, die Sicht wird besser. Dann sorgen wir allerdings selbst für Nebel, als wir nämlich wegen eines Wasserfall-Blicks anhalten, qualmt es tierisch von den Vorderrädern. Es stinkt dazu penetrant nach Gummi oder ähnlichem, da hatte ich wohl auf der Abfahrt wegen der schlechten Sicht etwas zu sehr auf die Fuß- statt auf die Motorbremse gesetzt. Wir sichern das Auto hinter einem Kieshaufen und wandern erst einmal zu den Waitonga Falls, um den Reifen samt Bremsen eine Abkühlpause zu gönnen. Es ist eine nette Auf- und Ab-Strecke mit einer Steg-Etappe über ein unheimliches Hochmoor zu einem imposanten Wasserfall, den man allerdings recht schwer aus der Nähe betrachten kann, ohne die Füße zu durchweichen. Nach der Rückkehr zum Camper riechen die Räder zwar noch, wir wagen trotzdem die weitere Abfahrt und kommen auch heil in Ohakune an. Es ist schon ein bisschen peinlich, dass selbst auf dem Campingplatz der Geruch noch nicht ganz verflogen ist. Dann kommt wie zum Hohn tatsächlich sogar noch mal die Sonne heraus, der Gipfel bleibt dennoch an diesem Tag ständig verhüllt.

 

Beim Aufstehen sehen wir westlich von uns blauen Himmel, und auch wenn wir den Ruapehu nicht erblicken, lassen die dort hängenden Wolken darauf hoffen, dass sie sich verziehen. Wir hatten schon am Vorabend unsere Wandersachen gepackt, optimistisch die Sonnencreme dazugetan und sind gespannt auf den Tanz zwischen den Vulkanen. Pünktlich halb acht geht es los mit dem Shuttle zum eine gute Dreiviertelstunde entfernten Startpunkt der Tour, dem Ende der Mangatepopo-Road auf der anderen Seite der Berge. 700 Meter hoch, 1000 Meter wieder hinunter. Lavabrocken, Schwefeldämpfe, Seen mit ungenießbarem Wasser und eine knallend heiße Sonne. Die einen nennen es Plackerei – für andere ist es die schönste Ein-Tages-Wanderung der Welt. Tongariro-Crossing nennt sich der 17 Kilometer lange Spaziergang der besondern Art auf der anderen Seite der Erde. Obwohl mit Gipfeln bis zu knapp 2800 Metern versehen, ist der Tongariro National Park näher am Erdinneren als die meisten anderen Plätze auf der Welt. Drei aktive Vulkansysteme bilden den Kern des 1887 gegründeten und damit ältesten Nationalpark Neuseelands. Der Ruapehu (2796 m) war 1995 zum letzten Mal ausgebrochen. Der aktivste der drei Vulkan-Geschwister ist der Vorzeigevulkan Ngauruhoe (2290 m). Zwischen ihm und dem 1968 Meter hohen Tongariro hindurch schlängelt sich der nach letzterem Vulkan benannte Track durch die bizarre Landschaft, die mit ihren insgesamt 752 Quadratkilometern auf den Unesco-Listen des Weltnatur- und Weltkulturerbes steht. Der Nationalpark liegt zwischen Auckland und Wellington unweit des Taupo-Sees im geologisch aktivsten Teil Neuseelands und bietet mit dem „Tongariro-Crossing“ eine atemberaubende Gelegenheit, der urwüchsigen Kraft der Natur näher zu kommen. Auf der Fahrt zum Startpunkt verdichten sich die Wolken erst einmal, aber die Sonne ist immer zu erahnen. Die Prophezeiung unseres Busfahrers, dass ab 9 Uhr die Sonne scheinen und es kein perfekter, aber ein guter Tag werden soll, erfüllt sich nicht. Sie wird übertroffen. Vom Start aus geht es erst recht gemächlich durch ein langgezogenes Tal hinauf zur Mangatepopo-Hütte. Schon wenige Minuten nach dem Aufbruch kommt der Sonnendurchbruch und macht uns klar, dass wir wohl zumindest den dicken Reservepullover hätten zu Hause lassen können. Um einige Sachen am Körper erleichtert, die dafür den Rucksack schwerer machen, und reichlich mit Sonnenschutz eingecremt geht es weiter zur Hütte. Die erreichen wir plangemäß, lassen sie aber links liegen und begeben uns sogleich weiter über eine mit einem Plankenweg versehene vulkanische Hochebene. Die reichlich herumliegenden Lavabrocken stammen von einem Ausbruch des Ngauruhoe aus dem Jahr 1954. Der Vulkan brachte es im 20. Jahrhundert auf 45 Ausbrüche und war so einer der aktivsten. Die letzte große Eruption liegt gut 30 Jahre zurück, weshalb sich sehr Wandertüchtige auch auf den dreistündigen „Abstecher“ zu seinem Gipfel begeben. Weiter geht es zu den Soda-Springs. Das unvermittelt aus dem Berg tretende Flüsschen ist zwar nett anzuschauen, sein Eindruck verblasst aber vor dem Anblick, der hier unmittelbar vor einem liegt – und das ist nicht nur die letzte Toilette für die nächsten vier Stunden. Am Ende eines Talkessels angekommen, bleibt nämlich nur noch der Weg zurück – oder der nach oben. Und der überwindet auf etwa einem Kilometer Entfernung einen Höhenunterschied von 250 Metern. Zum Glück verschleiert sich die Sonne gerade zum Beginn des Aufstiegs, so dass es zumindest von oben nicht ganz so heiß ist. Wir schnaufen uns in die Höhe zum South Crater und können dort sogar den tollen Ausblick genießen, ohne völlig außer Atem zu sein. Der Weg durch den ebenen Krater ist dennoch eine willkommene Verschnaufpause, denn dann geht es wieder hinauf, zum Red Crater, noch einmal knapp 200 Meter Höhenunterschied, diesmal zum Teil auf Geröll. Der Blick über den Kraterrand lässt  aber dann alle Strapazen vergessen. Es ist mit Worten und auch mit Bildern nicht zu beschreiben, man muss einfach dort stehen und in diesen Schlund blicken. Schneereste an den Rändern bringen uns in diesem Jahr nicht mit Winter verwöhnten Mitteleuropäern doch noch einen Moment der weißen Jahreszeit, dann folgt ein kleiner Weg den Am Red Crater - Höhepunkt des Tongariro Crossingschmalen Grat hinauf zum 1886 Meter hohen Gipfel.  Geschafft – ein einmaliges Gefühl, am Kraterrand eines Vulkans zu stehen, der 1926 zum letzten Mal ausgebrochen war und sowohl wegen seiner Farbe als auch wegen seiner eigenwilligen Formen beeindruckt. Dem Wind entfliehend folgen wir dem Weg der Mitwanderer, die sich schon lange über eine große Strecke verteilen. Die Sonne kommt zurück und lässt die smaragdfarbenen Emerald Lakes im hellsten Licht erstrahlen. Schwefelgeruch hängt plötzlich in der Luft, und tatsächlich, unmittelbar neben dem Weg steigt Qualm auf. Ein Griff zum richtig warmen Boden lässt einmal mehr deutlich werden, dass wir uns auf einem aktiven Vulkan befinden. In einer vor Wind und Geruch geschützten Ecke hinter einem Felsbrocken lassen wir uns unser Essen schmecken, machen so zur Abwechslung mal die Rucksäcke etwas leichter – uns dafür aber schwerer. Bei der Strecke ist hier Halbzeit, vier Stunden Wanderung, so sagte es der Wegweiser, liegen noch vor uns. Nach der Durchquerung des Central Craters folgt der letzte ernstzunehmende Anstieg der Tour zum Blue Lake, der weit weniger blue als die Emerald Lakes ist. Nun geht es nur noch bergab, lange Zeit auf Maori-Gebiet im Zick-Zack zur Ketetahi-Hütte – dem ersten Punkt, an dem man trotz reichlich vorhandenen Wassers unterwegs seine Trinkvorräte wieder auffüllen kann. Das ist auch bitter nötig, denn der weitere Weg, der uns immer tiefer führt, verlangt der Kondition, aber vor allem den Kniegelenken noch einmal alles ab. Wir passieren die heiligen heißen Ketetahi-Springs, denen man nicht nur wegen ihrer Bedeutung für die Maori fernbleiben sollte, sondern auch, weil der Boden hier sehr porös ist und man sich leicht Verbrennungen in dem bis  zu 90 Grad Celsius heißem Wasser oder am knapp 140 Grad Celsius heißen Dampf zuziehen kann. Dem Pfad durch hohes Gras folgend erreichen wir schließlich, nach vielen Stufen und abschüssigem Gelände, einen schattigen Wald. Nach 7 Stunden und 15 Minuten haben wir, nun doch reichlich geschafft, dafür aber unendlich glücklich, eine traumhafte Wanderung hinter uns. Um zu sagen, ob es die schönste Wanderung der Welt ist, fehlen uns die Vergleiche. Definitiv ist es das beeindruckendste Stück Weg, das wir jemals zurückgelegt haben, und eine Begegnung mit Neuseeland, die sich tief in unsere Erinnerungen eingebrannt hat.

 

Der Tag bringt einmal mehr ein ständiges Auf und Ab, diesmal nicht nur höhentechnisch, sondern auch gefühlsmäßig. Zuerst schaffen wir es endlich, einmal frühstücken zu gehen. Nach dem deftigen Magenfüller, eher ein Brunch denn ein Breakfest, führt uns der Weg kurz in eine Werkstatt, wo wir das „Okay“ für die Wohnmobil-Bremsen bekommen, und dann fort vom südlichen Tongariro-Nationalpark, hin erst einmal wie schon zwei Tage zuvor zum Ruapehu. Diesmal allerdings nach Whakapapa, denn vom dortigen Skifield aus gibt es einen Lift, der auf über 2000 Meter führt. Ist beim Aufstehen der Gipfel unseres Ziels noch zu sehen, so mehren sich minütlich die Wolken, immer wieder gibt es Regenschauer, und auf dem Weg zum Skilift erreichen wir wieder den Dunst, der uns vom Weihnachtstag so bekannt ist – zwar nicht so dicht, aber verbunden mit dem Regen am Zielpunkt des Sesselliftes ausreichend, dass dieser nach einer BedenkpaIn Neuseeland gibt es mehr Schafe als Menschenuse dann doch für den ganzen Tag als geschlossen erklärt wird. Wenigstens qualmen die Bremsen diesmal auf der Abfahrt nicht. Der Weg um die Vulkane herum ist dem Wetter entsprechend allerdings nicht besonders aufregend, und auch die Strecke westlich um den Lake Taupo herum macht zwar einen netten Eindruck, ist aber nach den schon erlebten Attraktionen nichts Besonderes, Oder doch, immerhin gelingt es mir endlich, ein alleinstehendes Schaf vor dem Himmel zu fotografieren. Leider ist der nicht blau. Einem falschen Abbieger vor Taupo haben wir es zu verdanken, dass wir die „Craters of the Moon“ erreichen, ein etwas hochtrabend benanntes, aber dennoch sehenswertes geothermales Gebiet, auf dem heißer Dampf aus dem Boden entweicht – ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie aktiv die Gegend hier ist. Nach einem kurzen Stadtbummel und erfolgreichem Einkauf in Taupo gibt es auf einem sehr großen und sehr gut gefüllten Top-Ten-Platz die Gewissheit, dass es auch hier Weihnachtsverrückte gibt, einen netten, wenn auch regnerischen Grill- und Weinabend mit dem Austausch diverser Erlebnisse, und die Erkenntnis, dass ich mich morgen wohl in einen 47 Meter tiefen Abgrund stürzen werde, wenn mich nicht doch noch der Mut verlässt.

 

Gab es bisher auch nur noch die geringsten Zweifel, dass dies die Reise der Superlative ist, so sind sie seit heute beseitigt. I did it – ich tat es. Etwas total Schwachsinniges, nämlich mich mit einem Gummiseil an den Füßen gefesselt aus 47 Metern Höhe in Richtung eines Flusses zu stürzen. Genauer gesagt, nach einer rasanten Luftfahrt kopfüber in diesen einzutauchen. Und das auch noch toll zu finden. Ja, ich gebe es zu – ich bin nicht mehr normal. Denn ich habe es erlebt, dieses unbeschreibliche Gefühl des freien Falls, diese Zerreißprobe mit dem Selbsterhaltungstrieb, den Kampf gegen Verstand und Vernunft. Ich habe ihn erlebt, diesen Moment der Todeserwartung unmittelbar nach dem Absprung, als ich scheinbar haltlos der Wasseroberfläche entgegenschieße, bis das Seil an den Fußmanschetten langsam, ja, geradezu unvorstellbar zärtlich, den Kampf gegen die Schwerkraft aufnimmt und gewinnt. Ich habe ihn erlebt, den raschen Aufstieg nach dem tiefen Sturz, den erneuten Niedergang, und wieder, wie Phönix aus der Asche, das Emporsteigen in luftige Höhen, um dann langsam dem Boden und der normalen Körperhaltung entgegenzuschweben. Ich habe ihn erlebt, den Triumph, die eigenen Ängste überwunden zu haben. Ich hätte nie geglaubt, dass dieser Wahnsinn so abrupt und fließend zugleich, so unendlich brutal und doch weich sein kann. Aber irgendwie ist Bungy-Jumping wie dieses Land, wie seine schroffen Felsen und die gleitenden Hügel, wie seine sturmgepeitschte Brandung und die idyllischen Sonnenuntergänge, wie seine vor Leben strotzenden Urwälder und die todbringenden Vulkane. Was geht einem durch den Kopf, wenn man da am Abgrund steht und etwas tut, wozu der Mensch nicht wirklich geschaffen ist? Woran denkt man im letzten Moment, bevor man den Boden unter den Füßen verliert und, nur der Stabilität eines Gummiseiles vertrauend, nach unten rast? Ganz einfach. Als ich auf der Bank saß und wartete, dachte ich noch: „Eigentlich gut, dass ich die Brille nicht auf habe. Da werde ich nicht so genau sehen, wie tief es ist.“ Der beherrschende Gedanke aber war: „Er soll mich nicht schubsen“. Klingt blöd, ist aber so. „Wenn ich diesen Wahnsinn schon tue, dann bis zuletzt Mein Sprung in 47 Meter Tiefe - ein einmaliges Erlebnisaus freien Stücken. Er soll mich nicht schubsen.“ Keine Zeit, das Leben vor dem inneren Auge ablaufen zu lassen, sich von allen, die man mag, zu verabschieden. Arme über den Kopf, Kinn auf die Brust. „Three, two, one – Bungyyyyyy!“ Und hüpf. Ab geht’s. Dass ich bis zur Brust ins Wasser eintauche, merke ich eigentlich erst, als ich den Waikato-River schon wieder in Richtung Absprungpunkt verlasse. Ab jetzt ist es nur noch Genuss. Ich schreie mir die Freude aus dem Leib. Auch die Erleichterung. Die Angst habe ich, glaube ich, schon bei „two“ verloren. Runter, hoch, runter, hoch, runter, hoch – und schließlich nur noch nach unten. Ins Schlauchboot, an Land. Nass. Glücklich. Noch ungläubig, es tatsächlich getan zu haben. Günther ist der Nächste. „Like a prisoner“ – „Wie ein Gefangener“ sagt ein Mann neben mir. Tatsächlich sieht er so aus mit seinen „Fußfesseln“, mit denen er sich zur Hinrichtung begibt. Aber es ist ja schon seine zweite – Bungy-Jumping macht Lust auf mehr. Seine Schilderung des ersten Sprunges hat mir erst den Mut gegeben, dieses Abenteuer in Angriff zu nehmen. Danke, Günther. Diesen Tag werde ich nie vergessen – du sicher auch nicht, es ist ja auch noch dein Geburtstag. Der erste in Neuseeland – und auf diese Art auch der erste, der gleichzeitig mit dem Geburtstag meines Lieblingsschwagers Hans-Peter stattfand, obwohl letzterer normalerweise einen Tag vorher feiert. Die Zeitverschiebung macht es möglich, zwölf Stunden lang ist hier der 28. Dezember und zu Hause noch der 27. Den Geburtstag feiern wir selbstverständlich am Abend noch bei ein paar leckeren Gläschen Wein, bis dahin plätschert der Tag nett dahin. Er bringt den Ortswechsel von Taupo nach Roturoa auf einen Campingplatz, der tatsächlich, wie es im Prospekt stand, ohne Schwefelgeruch ist, auf dem Weg dahin die Besichtigung der Huka-Falls (wenige Kilometer hinter unserem Bungy-Eintauchpunkt gelegen) und später am Ziel einen schönen Ausflug zu einer heißen Soda-Quelle mit, wie dort badende Einheimische erklärten, 50 heilenden Mineralien. Das Wasser hat an seiner kältesten Stelle in etwa Badewannentemperatur, es gibt aber auch heißere Ecken, und leider auch viele kleine, aber dennoch heftig blutsaugende Insekten. Schön ist es trotzdem, wir genießen die Kombination von warmen Wasser und wieder einmal länger scheinender Sonne. Und abends, beim Geburtstags-Treff, erleben wir tatsächlich auch noch das erste lebende Possum, nach der Begegnung mit zahlreichen toten Vertretern auf den Straßen eine besondere Freude.

 

Neuseeland ohne Maori, das ist wie Thüringen ohne Rennsteiglied. Also machen wir uns heute auf, im Zentrum der Maori-Kultur (sagen zumindest die Reiseführer) der Sache auf den Grund zu gehen. Dazu wählen wir Te Puia aus, eine Kombination aus Geothermal-Park undMaori im Te Puia in Roturoa lebendigem Museum, hier in Roturoa. Neben den uns schon bekannten Schlamm- und Qualm-Spuckern haben wir hier zuerst einmal die Freude, unseren ersten ausgewachsenen Geysir zu sehen. Es ist schon beeindruckend, wenn über 30 Minuten lang eine über 20 Meter hohe heiße Wasser- und Dampfsäule aus dem Boden schießt, die etwas weiter, je nach Windrichtung auch über den Zuschauern, reichlich Tropfen zu Boden fallen lässt. Wir machen zudem Bekanntschaft mit einem hyperaktiven Kiwi und einem ständig kochenden Wasserloch mit gut zwei Metern Durchmesser. Der warme Boden hätte auch permanentes Barfußlaufen erlaubt, die kleinen spitzen Steine aber nicht. Dann finden wir uns im traditionellen Maori-Dorf ein, wo nicht nur schöne Schnitzereien entstehen, sondern auch mittags, in der Ferienzeit sogar stündlich, ein Maori-Konzert stattfindet. Das besteht zuerst aus der traditionellen Begrüßung, die vor dem Haupthaus im Freien zelebriert wird. Nachdem dann alle im Inneren Platz genommen haben, geht es musikalisch weiter, sehr hörens- und auch sehenswert, letzteres vor allem Dank der Zungen- und Augenakrobatik der männlichen Akteure. Dem Ausflug in die Historie folgt am Nachmittag einer auf den Hausberg, mit der Seilbahn. Ein paar schöne Blicke und einen Milchshake später geht es wieder hinab in den Ort, und nach einem kleinen Umweg über den Blue Lake, einen kleinen, idyllischen See mit dem eigentlichen Campingplatz unserer Wahl, der aber leider schon ausgebucht war, fahren wir zum Redwood-Forest, einem großen Waldgebiet mit den gigantischen Baumriesen aus Kalifornien, die einst aus Gründen der Holzgewinnung hier eingeführt wurden. Damit sind unsere Inlandsabenteuer nahezu abgeschlossen.

 

Auf der Fahrt zurück in Neuseelands Millionen-Metropole Auckland gibt es noch zwei Höhepunkte. Zum einen die witzige Schafshow im Agrodome in Roturoa, bei der wir den Unterschied zwischen Merinowolle und der Körperbedeckung des Ost-Friesischen Schafes am lebenden Objekt vorgeführt bekommen, und noch gut ein Dutzend wuscheliger Dickköpfe mehr. Dann aber folgt wieder ein Erlebnis aus der Reihe „Allein dafür hätte sich die Reise gelohnt“ – in jedem Fall für mich. Wenn man den „Herrn der Ringe“ nicht so von ganzem Herzen liebt, wie ich, mag es einem ziemlich langweilig erscheinen, zwei Stunden um die Überbleibsel eines Filmdrehs herumzuspazieren, die im Film doch viel prachtvoller zu sehen sind – deshalb bin ich Heike sehr dankbar, dass sie die Ruhe aufbringt, meine Begeisterung zu ertragen. Für mich aber ist es nach mehr als 20 Pooh und ich im AuenlandJahren Bekanntschaft mit der Geschichte des Rings, nach allen Fantasiereisen in Tolkiens Reich, nun das Ankommen im Auenland, der Besuch in Hobbingen bei Frodo und meinem guten Freund Samweis Gamdschie, auch wenn die dummerweise gerade nicht zu Hause waren. Dafür hätte beinahe Pooh dort eine neue Heimat gefunden, er hockt nämlich noch im Fenster von Beutelsend, als wir schon in den Bus einsteigen. Wir merken das Fehlen des kleinen Kerls aber noch rechtzeitig, und ich darf zurück, ihn zu holen. Für mich ist dieser Moment, ganz allein mit Pooh am Eingang der Hobbithöhle, des Hubba-Holes, wie die Einheimischen sagen, ein unvergesslicher. Er ist wie die Reise ins Weltall, die ich wohl nie erleben werde, die aber, so glaube ich, mich nicht glücklicher machen kann als dieser Augenblick. Ja, man muss ein bisschen verrückt sein, um so etwas zu empfinden angesichts einiger Sperrholzverkleidungen, eines riesigen Baumes und einiger Bilder. Aber wenn ich hier, auf der anderen Seite der Welt, auf der Farm der Alexanders unweit von Matamata, die Augen schließe, sehe ich Sam, wie er im Garten arbeitet, Bilbo, wie er an seinem Buch schreibt, Merry und Pippin beim Klauen von Feldfrüchten, dann rieche ich Bockskraut-Tabak und höre das Rumpeln von Gandalfs Wagen.

 

Schon wieder ist ein Jahr vorbei. Dieses war sogar kürzer als alle anderen bisher, immerhin hörte es schon zwölf Stunden eher auf als in Deutschland. Dafür wird das neue Jahr aber auch zwölf Stunden länger sein, insgesamt haben wir also 2007 einen Tag mehr als 2006 – und das, obwohl es kein Schaltjahr ist. Aber genug der Rechnerei, der letzte Tag des Jahres ist Heikes großer Tag. Sonst für Abenteuer magenkribbeliger Art eher nicht so zu haben, hat sie sich mutig für das Auckland Bridge-Climbing angemeldet. Um schon einma(Fast) Freier Fall vom Sky Tower in Aucklandl ein wenig Höhenluft zu schnuppern, das allerdings hinter sicherer Glasfassade, geht es am Vormittag erst einmal auf den Sky-Tower, das mit 328 Metern höchste Gebäude der Südhalbkugel. Die höchste von zwei Aussichtsplattformen ist zwar „nur“ in 220 Metern, bietet aber dennoch einen fantastischen Rundblick über die zwei Meere, an denen Auckland liegt, auf die Inseln im Nordosten, hinaus ins Northland über die Harbour-Bridge und über die Stadt selbst – wenn es nicht gerade heftig regnet, wie es der Fall war, kaum dass wir das schützende Innere erreicht hatten. Da uns aber nichts drängelt, lassen wir uns Zeit, warteten auf die Sonne, laufen über den auf der unteren Plattform in 192 Metern Höhe doch recht gewöhnungsbedürftigen Glasfußboden und schauen den Bungy-Jumpern zu, die am Drahtgestell – nicht ganz Bungy-typisch – nach unten rasen. Einem kurzen Schlenker in die Stadt folgt dann die Fahrt zum Fuß der Brücke auf der Süd-, also der Aucklandseite, von wo aus nach Einkleidung und kurzen Erläuterungen die Wanderung auf der 1000 Meter langen Stahlkonstruktion beginnt. Ich gehe mit Heike gleich voran, nach einem kurzen Kribbeln bei den ersten Metern über dem Wasser ist ihr Magen davon überzeugt, dass ihm hier nichts Schlimmes bevorsteht, und so kann auch Heike die sehr interessante folgende Stunde genießen. Im Gegensatz zu Sydney ist hier der Aufenthalt oberhalb der Fahrbahnen relativ kurz, aber genauso eindrucksvoll, da auch die Stadtkulisse eine sehr schöne ist. Das Wetter meint es zudem gut mit uns, so dass wir das Jahr 2006 mit einem sehr gelungenen Höhepunkt abschließen. Das heißt, eigentlich noch nicht ganz, denn es folgt noch ein Highlight – der Jahreswechselblick vom Mount Victoria in Davenport über die Bucht hinweg auf Auckland. Diese gigantische Perspektive kann man vor allem nachts empfehlen – es muss auch nicht zwingend Silvester sein. Das neugierig erwartete Feuerwerk fällt ohnehin sehr spärlich aus, diesbezüglich sehenswert sind eigentlich nur die Fontänen vom Sky-Tower. Zurück auf dem Campingplatz freuen wir uns über die ersten Neujahrswünsche der rechenkundigen Nachhänger in der Heimat und liegen gegen 2 Uhr im Bett – zehn Stunden, bevor in Deutschland die Korken knallen.

 

Es ist schon erstaunlich, wie lang zwölf Stunden sind. Selbst bei unserem Frühstück gegen 9 Uhr ist man in Deutschland vom neuen Jahr noch ein gutes Stück entfernt, was es uns erlaubt, liebe Grüße von 2007 nach 2006 zu sms-en. Dann machen wir uns auf zu unserem letzten Ausflug in Neuseeland, fahren in die Unterwasserwelt von Auckland – sehr nett gemacht, sehenswert vor allem Dank der Tunnel im Hai- und Rochenbecken und der netten Pinguin-Kolonie, aber kein unbedingtes Muss. Unfreiwillig spektakulär wird es dann noch einmal, als ich die Harbour-Bridge und den Sky-Tower unbedingt zusammen auf ein Bild bannen will. Nachdem wir nach drei Anläufen einen wenn auch nicht idealen, so doch akzeptablen Platz in Peregrine Pl. / Birkenhead finden und das Bild im Kasten haben, setze ich bei der Wende in einer Auffahrt den Camper hinten auf. Wenige Sekunden später sind die Nachbarn, kurz darauf auch die Hausbewohner auf der Straße, aber nicht um zu schimpfen oder zu lästern, sondern um zu helfen. Die einen bieten an, den Automobilclub zu rufen, der Hausherr, der solch eine Situation wohl nicht zum ersten Mal erlebt, überredet mich, noch ein Stück vorzufahren, auf seine Wiese einzuschlagen – man stelle sich das vor – und dann schräg rückwärts zu rollen, um den Knick zu überlisten. Mit reichlich Mut und Handbremse – ich hatte Angst, die Anschieber zu überrollen – wuchte ich den Van tatsächlich in der Auffahrt noch zwei Meter höher und setze den Vorschlag New Zealand at it's best - thank you, Betty and Gillianglücklich in die Tat um. Die nette Nachbarin, Betty Tennant, lädt uns auf den Schock noch auf einen Kaffee und ein Biskuit ein, was wir gerne annehmen. In der Küche sitzen schon ihre Tochter Gillian Walker und deren lieber großer Blindenhund Fletcher, der uns fröhlich beschnuppert, ab und zu beschleckt, aber sogar vor Heikes Augen Gnade findet. In einem sehr netten Gespräch erfahren wir, dass Gillian trotz ihrer Erblindung eine sehr erfolgreiche Triathletin ist, schon zahlreiche Teilnahmen an den Ironmen-Wettbewerben in Neuseeland, selbst auf Hawaii, hinter sich hat und auch schon einmal in Europa gestartet ist. Eine gute halbe Stunde später sind wir dann heil auf dem Heimweg und um die Erfahrung reicher, dass Neuseeländer tatsächlich so offen, freundlich und hilfsbereit sind, wie sie in den Reiseführern beschrieben werden. Nach kurzer Mittagsruhe geht es dann so langsam ans Kofferpacken – es wird Zeit, Abschied zu nehmen. Der Ring hat sich geschlossen. Wir sind wieder am Start angekommen. Hier auf dem Campingplatz liegen Prospekte, in denen Wellington als Eintagesfahrt angeboten wird – inklusive Hin- und Rückfahrt. Was also haben wir die vergangenen Wochen gemacht? Ganz einfach. Das, was Highlight-Fetischisten nicht mitbekommen – Landluft geatmet. Wir waren an Plätzen, die ich mir vorher trotz aller Reiseführer-Lektüre und Internet-Stöberei nicht und schon gar nicht so schön hätte vorstellen können, haben Landschaften erlebt, die aus Legenden erschaffen schienen oder Legenden erschufen, hatten tierische und menschliche Begegnungen, die dieses Land einfach liebenswert machen. Und nebenbei haben wir selbstverständlich viel von dem gesehen, was Tagesreisende auch erleben. Nur hatten wir die Ruhe, das alles auch auf uns wirken lassen zu können.

 

Neuseeland ist der Inbegriff für etwas, das fast unerreichbar weit entfernt liegt, wie ein Traum, den man nicht greifen kann. Da liegt die Gefahr nahe, dass man es glorifiziert, sich etwas vorstellt, das sich nicht nur geografisch am anderen Ende der Erde, sondern auch jenseits unserer Erlebniswelt befindet. Nun – in diesem Zusammenhang ist die kartographische Erddarstellung Europa am Rand - in Neuseeland sieht man viele Dinge andersDown Under sehr hilfreich – dort liegt Europa nämlich ganz am Rand, Neuseeland dagegen ziemlich in der Mitte, wenn auch recht weit unten. Erstaunlich ist für mich, wie ähnlich dieses Land im Vergleich mit Europa ist – und dennoch haben wir die ganze Reise als so einzigartiges Erlebnis empfunden. Wie habe ich es doch am Anfang der Tour gesehen? Wattenmeer wie an der Nordsee, Kühe wie in den Alpen, Pinien wie in Portugal, schwarzer Sand wie auf Lanzarote, Schafe wie in der Lüneburger Heide, Straßen wie auf Madeira. Und jetzt? Nun scheint es mir, als haben all diese europäischen Landstriche jeder für sich nur ein kleines Stück vom neuseeländischen Kuchen abbekommen. Nordsee, Alpen, Portugal, Lanzarote, Lüneburger Heide und Madeira – alles nur ein Spiegelbild von Neuseeland. Das ist etwas, was ich mitnehmen werde, das sind Bilder, dank derer ich auch in Zukunft immer wieder nach Neuseeland reisen werde, ohne 24 Stunden Flug absolvieren zu müssen. Ich verstehe, warum viele Europäer, die einmal hier waren, für immer auf der Insel bleiben wollen. Es ist ein Stück Heimat, das man hier wiederfindet. Um ehrlich zu sein – für mich ist es nichts. Ich könnte Woche um Woche, Monat um Monat, Jahr um Jahr hier umher reisen, ja. Aber mich an einem Platz niederlassen, um hier zu arbeiten? Dazu sollte man wohl eher Farmer oder Weinbauer sein. Aber was ist hier nun anders als in Europa? Das ist schwer zu sagen, ist zumeist nur ein Gefühl. Gut, die meiste Zeit der Reise waren wir weitestgehend allein unterwegs. Erst nach Ferienbeginn wurden die Campingplätze voll, dann bekam man auch das Gefühl, sich in Urlaubergebieten zu bewegen. Die Uhren laufen auch hier langsamer als in Deutschland – aber das ist wohl in fast jedem Land der Welt so. Fährt man die Straßen entlang, dann bekommt man manchmal das Gefühl, ausgesperrt zu sein. Überall Zäune, so weit das Auge reicht. Andererseits wird man aber überall, wo man ins Gespräch mit Einheimischen kommt, sofort gefangen genommen von deren Offenheit, ihrem ehrlich erscheinenden Interesse an dem Besucher, der eine lange Reise unternommen hat. Stolz schwingt da zuweilen mit, auf eine Heimat, die man sich schöner kaum vorstellen kann. Das Reisen durch Neuseeland mit dem Wohnmobil ist ein uneingeschränkter Genuss. Entspanntes Fahren auf in gutem Zustand befindlichen Straßen, die Sorge, viele Ziele nur mit einem Offroader erreichen zu können, muss man nicht haben. Freilich, wenn man Monate Zeit für eine Rundreise hat, dann ist man mit einem Allradwagen in der Lage, auch ganz abgelegene Ziele zu erreichen. Für einen drei Wochen-Trip wie den unseren aber gibt es genügend Attraktionen, stille wie geschäftige, die man ansteuern kann – und viele, die man selbst beim bereisen nur einer der beiden Inseln in dieser Zeit einfach nicht schafft, wenn man nicht nur von Punkt zu Punkt eilen will. An dieser Stelle muss man auch mal den entsprechend der persönlichen Routenplanung gestalteten Boomerang-Reiseführer loben, der kompakt viele „große“ Ziele hinreichend gut beschreibt und einen darüber hinaus auch über etwas abseits liegende Geheimtipps informiert, die zwar vielleicht nicht für große Schlagzeilen genügen, aber eine solche Reise wirklich erst zu einem individuellen Erlebnis machen. Für mich ein Grund mehr, Spezial-Reiseanbieter für so eine Tour den Einheitsbrei-Veranstaltern vorzuziehen. Muss man nach so einer Reise überhaupt ein Resümee ziehen? Wenn ja, dann ist für sie für mich der Beweis dafür, dass man schon viel gesehen haben und trotzdem immer noch etwas Neues entdecken kann, und dass Neuseeland in der Lage ist, selbst die höchsten Erwartungen überzuerfüllen, wenn man nur bereit ist, sich zu öffnen. Trotz all seiner atemberaubenden Attraktionen – dieses Land springt einen nicht an, sondern lädt dazu ein, den eigenen Weg zu finden. Und ist das gelungen, dann möchte man ihn nie mehr verlassen – oder zumindest wieder beschreiten. Bis bald, Neuseeland.

Thomas Becker

2007

Alle Rechte beim Autor, zwischenzeitliche Änderungen möglich

REISETIPPS: Spezialanbieter unsere Wahl nach Anfrage an mehrere Anbieter war Boomerang-Reisen stellen im Baustein-System alle gewünschten Optionen zusammen, können dabei individuelle Wünsche zu absolut konkurrenzfähigen Preisen berücksichtigen und so die Reise zu einem wirklich individuellen Erlebnis werden lassen. 24 Stunden reine Flugzeit benötigt man bis Neuseeland auf der Asien-Route. Wir sind mit Cathay Pacific über Hongkong geflogen, was die Strecke ziemlich genau halbiert. Das Preis-Leistungs-Verhältnis war ebenso hervorragend wie der Service an Bord und das sehr lohnenswerte Stop-Over-Angebot, das wir auf dem Rückflug in Hongkong wahrgenommen haben. Neuseeland lohnt sich in jedem Fall, mit dem Wohnmobil zu erkunden. Wir waren mit Apollo unterwegs, was Vorteile hat, wenn man Neuseeland mit Australien kombiniert, da sie in beiden Ländern vertreten sind. Die Ausstattung des Campers (wir hatten ein Vierbett-Fahrzeug für zwei Erwachsene, was genügend Bewegungsfreiheit ließ)  war sehr gut, der Service an der kostenlosen Hotline auch. Wir hatten uns für einen Tarif mit Kilometerbegrenzung von 150 km pro Tag entschieden. Wenn man wie wir nur die Nordinsel bereist und nicht unbedingt in jeden Winkel fahren will, reicht das völlig aus und spart richtig Geld. Im Ernstfall muss man nachzahlen und liegt bei moderater Überziehung immer noch mindestens ebenso günstig wie beim unbegrenzten Tarif. Kartenmaterial kann man sich sparen zum Camper gibt es eine ausführliche Straßenkarte, an den Campingplatzen, den Tourist-Informationen und vielen anderen Plätzen findet man zudem regionale Karten, die für die Orientierung ausreichen. Lohnenswert ist es, sich bei der Routenplanung anzuschauen, ob man mehrere Campingplatze einer Kette anfahren könnte. Wir haben die Top-Ten-Karte (auch gültig in Australien) genutzt und haben damit nicht nur ausgezeichnete Anlagen vorgefunden, sondern auch bei Platzgebühren und Eintritten (z. B. Waitomo-Caves) sparen können. Ähnlich geht auch mit der Rabattkarte der Kiwi-Plätze (war bei Apollo dabei). Rabattkarten gibt es auch in manchen Supermarktketten, sogar temporäre für Touristen. Es lohnt sich auch, auf Umsatz-Rabatte zu schauen. So haben wir mit unseren Einkäufen jeweils zwischen 4 und 12 Cent pro Liter Benzin sparen können, da die Supermärkte jeweils mit bestimmten Tankstellen-Ketten kooperieren. Noch ein Tipp für Sparfüchse: Als Kunde der cashgroup (Commerzbank, Deutschen Bank, Dresdner Bank, HypoVereinsbank oder der Postbank sowie deren Online-Tochterunternehmen) kann man mit der EC-/Maestro-Card an allen Automaten der landesweit präsenten Westpac-Bank kostenlos Geld abheben. Vorher in Deutschland zu tauschen lohnt sich auf keinen Fall, in Neuseeland hat man bei Bargeld-Abhebung einen deutlich besseren Kurs ohne Gebühren.

Vielen Dank an Heike, Günther, Petra und Felix, an die Daheimgebliebenen, besonders meine Eltern für die Betreuung der „Kleinen“ sowie Kai und Maja, dass sie uns diese Reise gegönnt haben, an Betty und Gillian in Birkenhead/Auckland-NZ sowie ganz besonders an Alexander Klein und das Team von Boomerang-Reisen in Nürnberg (www.boomerang-reisen.de) für die individuelle Betreuung und das ausgezeichnete Reisepaket.

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